Interview: Stella Rollig

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© Conny Habbel

Kunst ist für mich immer mit einem Moment des Unerwarteten verknüpft.


Wie geht Kunst traf Stella Rollig am 22. August 2006 in den Büroräumen des Kunstmuseum Lentos, Linz. Das Interview führten Conny Habbel und Marlene Haderer.

WgK: Welches Kunstwerk hat dich in deinem Leben besonders beeindruckt und warum?

Rollig: Ich erinnere mich, das erste Kunstwerk, das wirklich meinen Kunstbegriff verändert hat, war eine Arbeit von Christo Ende der 1970er Jahre. Damals war in der Secession eine Dokumentation von Running Fence zu sehen, einer Landschaftsarbeit, die er in Kalifornien verwirklicht hat. So große weiße Planen, könnte man sagen, die sich unendlich weit über die Hügelketten von Kalifornien gezogen haben. Bis dahin hatte ich eine ziemlich konventionelle Kunsterziehung, die sich vor allem auf Malerei und Plastik bezogen hat. Ich fand Christos Arbeit so großzügig, frei, poetisch und schön und kann mich erinnern, dass ich wirklich gedacht habe: „Das kann auch Kunst sein? Wahnsinn, wusste ich gar nicht!“

In jüngerer Zeit würde ich Arbeiten von Felix Gonzalez-Torres nennen. Torres war in den mittleren 1990er Jahren eingeladen, in der Plakatserie für die Austrian Airlines, die damals einmal im Jahr von Künstlern gestaltet wurde, einen Beitrag zu machen. Er hat ein reines Textplakat entworfen, auf dem Jahreszahlen aus den letzten dreißig Jahren aufgelistet waren, also innerhalb eben der Lebenszeit von Felix Gonzalez-Torres. Immer die Jahreszahl und daneben irgendein historisches Faktum. Das war manchmal sowas wie „Ende des Vietnamkriegs“, manchmal war es irgendwie… ich weiß nicht… „mein Hund gestorben“. Dieser Wechsel zwischen großen weltgeschichtlichen Ereignissen und privaten Erinnerungen, das fand ich so schön. Ich war so beeindruckt davon, wie man mit so einfachen Mitteln das Politische und das Poetische gleichzeitig derart unmittelbar aufrufen kann.

WgK: Soll sich Kunst dezidiert mit Politik auseinandersetzen?

Rollig: Das ist eine Frage, die muss man gleich auseinandernehmen, denn: Was ist Politik? Wie sehr dezidiert ist dezidiert? Mich interessiert Kunst nicht, wenn sie nicht politisch ist. Das behaupte ich jetzt so. Aber was ist politisch, nicht? Das heißt ja nicht, dass man über die SPÖ und das BZÖ sprechen muss, das ist Parteipolitik. Dann gibt es natürlich politische Theorie. Ich kann über Marxismus sprechen und ich kann über die Arbeiterbewegung in Venezuela sprechen, ich kann über Klassenunterschiede in Österreich, über Migration und so weiter sprechen. Das sind Themen die jetzt mal durch ihre Zuordnung in den Medien als ganz klar politische Themen zu erkennen sind. Ich finde aber, dass auch die Thematisierung der Erfahrung der eigenen Lebensrealität politisch ist, weil die unvermeidlich mit sozialen und ökonomischen Bedingungen zu tun hat, und das interessiert mich schon. Das kann aber eben auch, wie bei Felix Gonzalez-Torres, in verschlüsselter Form auftauchen, es kann irgendwie über emotionale Aspekte, über Bilder, über Materialien ausgedrückt werden. Aber ich glaube, wenn ich erklären müsste, warum ich ein Kunstwerk gut finde, wäre immer ein Aspekt des Politischen in der Begründung mit dabei.

WgK: Hast du für dich eine Definition was gute Kunst ist?

Rollig: Ja. Diese Definition ist eigentlich eine, die sich aus meiner Erfahrung und meiner Selbstbeobachtung in der Rezeption von Kunst ergeben hat. Kunst ist für mich immer mit einem Moment des Unerwarteten verknüpft. Ich möchte eigentlich von Kunst, die ich dann als gut empfinde, zunächst immer verwirrt oder überrascht werden. Wenn ich mich bei einer Arbeit erst einmal nicht auskenne, und mich frage: „Was ist denn das jetzt?“– das hat sich in den allermeisten Fällen als ein Qualitätskriterium herausgestellt. Ich habe einen Anspruch an Kunst, der lautet, dass mit den Mitteln der Kunst etwas entstehen soll, das in keinem anderen definierten Bereich unserer Lebenswelt, Produktionssphäre und so weiter, möglich wäre.

WgK: Du hast es jetzt so formuliert, dass Kunst etwas leisten muss, das nicht sowieso durch andere Disziplinen vollbracht werden kann. Was kann Kunst, was andere Disziplinen nicht können?

Rollig: Auf so vielen verschiedenen Ebenen kommunizieren, wie es in keinem anderen Bereich möglich ist. Ich habe vielleicht bei den Qualitätskriterien noch eines vergessen, das lautet: „Es muss gut aussehen.“ Also Kunst kommuniziert in Bildern, und das ist für mich eigentlich auch ein unverzichtbares Element, dass die Gestaltung gelungen, adäquat sein muss. Dass es schön sein muss. Wobei natürlich dann der Schönheitsbegriff subjektiv ist, aber das gehört auch dazu. In Bildern kommunizieren, Inhalte verknüpfen, die normalerweise unvereinbar scheinen – das kann die Kunst.

WgK: Wie gewichtest du die Bedeutung von Form und Inhalt in der Kunst?

Rollig: Sind für mich gleichberechtigt.

WgK: Und wie glaubst du, wird das im Moment von der Kunstkritik gehandhabt?

Rollig: Ich glaube im Moment ist ein Übergewicht, ein Primat des Formalismus festzustellen. Wobei ich auch in meiner eigenen Beschäftigung mit Kunst durch verschiedene Phasen gegangen bin. Vor 15 Jahren, in einer bestimmten Phase, wo mir sehr viel an einer überwiegend sehr politischen Ausrichtung von Kunst gelegen ist, als Aktivismus, als Interventionismus, da war ich schon auch geneigt, die Form hinten anzustellen. Aber das hat sich wieder verändert, weil ich gesehen habe, dass der Verzicht auf die Form – die schöne Form, die verblüffende Form –die Kunst in Konkurrenz mit anderen Bereichen bringt, wie wir vorhin gesagt haben, wo sie auf Potential verzichtet. Und das ist ja eigentlich schade.

Aber im Augenblick sehe ich schon eher die formalen Kriterien im Vordergrund, und da passt halt viel dazu, was im Moment passiert. Dieser aberwitzige Kunstmarktboom, und das Verlangen nach figurativer, ein bisschen verschlüsselter Malerei. Also heute wird doch mehr über die Form, vielleicht sogar die richtige Passform eines Werkes diskutiert…

WgK: Gibt es nicht auch einen Bereich der Kunstkritik, der genau andersrum funktioniert, in dem es dann fast schon ein Diktat des politisch Engagierten gibt und die Form hingegen aus der Diskussion ausgegrenzt wird? Ist das nicht auch ein starker Sektor?

Rollig: Mir kommt vor, dass dieser Sektor vergleichsweise an Stärke eingebüßt hat. Aber das Kunstfeld, das muss man ohnehin immer mitsagen, ist ja auch ungeheuer differenziert, und natürlich gibt es da auch diesen Bereich, der sehr inhaltsorientiert, vielleicht sogar sehr wirkungsorientiert ist. Es gab ja dann in den Debatten auch die Prägung eines negativen Begriffs namens ‚Inhaltismus’ – das ist ein ganz lustiges Wort. Man hat dann Arbeiten einen Inhaltismus vorgeworfen, wenn es eben nur mehr darum ging, einen Inhalt zu kommunizieren. Es stimmt schon, das ist sicher ein vorhandener Bereich.

WgK: Während verschiedener Gespräche, die wir in der letzten Zeit geführt haben, ist ein Begriffspaar aufgetaucht: ‚A-Markt’ und ‚B-Markt’: Der A-Markt, in dem die großen Museen und wichtigen Galerien enthalten sind und der B-Markt als der Bereich, mit dem man auch als junger Künstler eher zu tun hat. In diesem Sektor ist es meistens so, dass man im vorhinein schon genau erklärt, was man eigentlich machen will, was man aussagen will, wo alles inhaltlich offengelegt werden muss.

Rollig: Natürlich gibt es diese verschiedenen Märkte. Ich möchte nicht so gerne mit A- und B-Markt operieren, weil ich dieses ganze Feld wie gesagt als ein sehr differenziertes sehe. Ich meine, ein Phänomen ist sicher, dass man sich als junge Künstlerin mehr rechtfertigen muss, um Unterstützung zu bekommen. Und da ist es eine Möglichkeit, dass man eben den Inhalt der eigenen Arbeit in den Vordergrund stellt und in einen Markt geht, der auch selber Inhaltlichkeit gegenüber formalen Werten bevorzugt. Wenn man dort vorstellig wird und irgendeine inhalts-, oder sogar wirkungsorientierte Aktion vorträgt oder vorschlägt, dann hat man die Chance, dafür unterstützt zu werden. Bin ich nun schon eine etabliertere Künstlerin, dann komme ich in den Status, dass ich nicht mehr vorab erklären muss, was ich machen möchte. Das ist wie im Museum: Wenn ich mit Rosemarie Trockel eine Ausstellung mache, werde ich als Vertreterin des Museums zu ihr gehen und zu ihr sagen: „Liebe Frau Trockel, möchten Sie nicht bitte, bitte bei uns im Lentos in Linz ausstellen?“, und ich werde dann natürlich nicht sagen: „Ja aber jetzt sagen Sie einmal was Sie gerne machen würden!?“

WgK: Welche Zwänge, Trends und Klischees fallen dir spontan ein, die die momentane Kunstwelt beherrschen?

Rollig: Fangen wir mit Trends an. Es gibt einen Trend zum Individualismus, also der Künstler, die Künstlerin als Ausnahmeerscheinung. Das wird sicher heute wieder verstärkt in den Vordergrund gestellt. Man merkt das, wenn man Kunstzeitschriften anschaut, dass es sehr viele personality-stories auch über zum Teil ziemlich junge Künstlerinnen und Künstler gibt. So junge Shootingstars wie Jonathan Meese oder John Bock, bei denen die Aufmerksamkeit für ihr Werk über die individuelle Verrücktheit dieser Person vermittelt wird. Dann gibt es einen starken Bildertrend, Bilder in der Malerei als auch in der Fotografie, die etwas leicht Mysteriöses haben, die Rätselhaftigkeit, was zum Beispiel bei der letzten Berlin-Biennale auch ganz stark zum Ausdruck gekommen ist. Ein Beispiel ist der Fotograph Gregory Crewdson, der diverse merkwürdige Szenen arrangiert. Malerei ist eh klar: diese Figurationen der Leipziger Maler und so weiter. Das sind so die Trends in der Produktion. Was gibt es noch für Trends? Kunstwerke zu kaufen oder in Auftrag zu geben, die Signalwirkung mit Marketingcharakter für bestimmte Orte, Städte haben. Beispiel: Pippilotti Rists Innenstadtgestaltung in St. Gallen. Dieses ganze Kunstmarkt-Ding, das ist schon bekannt genug, dass da jetzt alles überhitzt ist und aberwitzig viel Geld fließt. Der Trend auch, dass der reine Handel und dessen Begleiterscheinungen mehr inhaltlich orientierte Kunstprojekte und -aktionen überschatten, überdecken. Und die Zwänge… Zwänge finde ich jetzt schwierig.

WgK: Ich glaube es ist jetzt vielleicht auch gar nicht nötig, darüber zu sprechen, da die Trends und Klischees ja das sind, was die Zwänge auf der anderen Seite bedingt…

Was ist vom Geniebegriff zu halten?

Rollig: Ja – nicht viel.

WgK: Was bedeutet Poesie für die Kunst?

Rollig: Poesie ist… ist ganz wichtig in der Kunst. Aber man kann natürlich an jedem dieser Begriffe zu denken beginnen: „Was bedeutet er? Was schließt er alles ein?“ Ich sage auch, es ist nicht unverzichtbar, also es gibt auch gute Werke, in denen Poesie nicht der Hauptbestandteil ist.

WgK: Obsession?

Rollig: Obsession, also (lacht) … Obsession hat für mich eine beunruhigende Konnotation. Das ist für mich nicht etwas, was ich mit Kunst als etwas Ausschlaggebendes in Verbindung bringe.

WgK: „Aura“?

Rollig: Ich glaube schon, dass sich eine Aura einstellen kann. Ich kann vor einem Werk eine bestimmte Aura verspüren, und – vielleicht ist das eine andere Art von Aura, als man es normalerweise meint – aber vor so einem Felix Gonzalez-Torres Plakat, auch wenn das zigmal im öffentlichen Raum auf ganz banalen Plakatwänden plakatiert war, habe ich doch ein Moment der Aura verspürt, in das ich mit dieser Arbeit eingeschlossen war.

WgK: Muss man klug sein, um gute Kunst zu machen?

Rollig: Ja, sicher.

WgK: Muss man klug sein, um gute Kunst zu verstehen?

Rollig: Ja, auch.

WgK: Kann man Kunst auch als Beruf ausüben, oder ist Künstler – Sein eine Berufung?

Rollig: Ein Beruf.

WgK: Kann man als Künstlerin ein bürgerliches Leben führen?

Rollig: Ja, wer um Himmels Willen führt ein bürgerliches Leben?! Also ich meine, wo gibt es das Bürgertum noch? Was wollt ihr also mit einem bürgerlichen Leben? Ich weiß nicht einmal ob ich ein bürgerliches Leben führe, wenn man sich bestimmte Aspekte daran ansieht.

WgK: Wir können es ja mal festlegen, diese Frage mit dem bürgerlichen Leben, indem wir sagen: Es gibt eine Woche, in der arbeitet man, am Wochenende hat man frei, und man hat womöglich auch Familie.

Rollig: Ja, aber da erzähle ich ja auch keine ganz neue Erkenntnis, dass diese Existenzform rapide am abnehmen ist, dass wir das gerade miterleben. Alle Aspekte daran, nicht? Das geregelte Einkommen, die Sicherheit des Arbeitsplatzes. Ich erlebe mit, dass Leute in meinem Alter, die Ende vierzig sind, gekündigt werden, und keine Ahnung haben wohin, weil niemand sich für jemanden in dem Alter interessiert, in den meisten Wirtschaftszweigen. Wochenenden schmelzen dahin…

WgK: Es ist kein spezifisches Kunstproblem, auf jeden Fall. Ich glaube, die Frage, die uns noch eher am Herzen liegt, ist, ob ein solches Leben sozusagen überhaupt erstrebenswert sein kann, als Künstler. Ich meine, was das verbreitete Künstlerbild betrifft, könnte man ja sagen: „Ein Künstler kann niemals so ein Leben führen! Ein Künstler muss verrückt sein oder am Rand, bzw. außerhalb der Gesellschaft stehen“, und so weiter.

Rollig: Also die meisten Künstlerinnen und Künstler, die ich kenne, leben eigentlich ziemlich normal. Viele haben Kinder, also gehen sie eben um acht Uhr in der Früh mit dem Kind zur Schule. Es gibt aber auch genug, die eine Art geregelten Atelierbetrieb haben, einen Freundeskreis, einen Partner oder eine Partnerin. Also in den Lebensformen sehe ich da oft nicht so einen großen Unterschied zu anderen Bekannten in meinem Umfeld.

Und die total Durchgeknallten, wenn ich jetzt darüber nachdenke… Aspekte des Selbstzerstörerischen zum Beispiel – ob das jetzt Drogen oder Alkoholkonsum ist oder wirklich destruktive Beziehungsformen und so weiter – mir scheint fast, dass auch das eher einer älteren Generation zugehörig ist. Das stirbt eigentlich aus.

WgK: Wann findest du Kunst ganz furchtbar?

Rollig: Wenn sie dumm ist, wenn sie platt ist, wenn sie banal ist, wenn sie damit spekuliert, dass sie wiedererkennbar einen obsoleten bürgerlichen, teilweise vielleicht schon kitschigen Begriff von Kunst bestätigt. Da kriege ich auch genug auf den Tisch, was einfach schlechte expressive Malerei ist, die sich darauf verlässt, dass sie einem bestimmten, natürlich längst obsoleten – aber trotzdem nach wie vor von genügend Leuten geschätzten – Begriff von Kunst als Malerei bedient. Also sowas, das kann mich ziemlich abstoßen! Was finde ich noch ganz furchtbar…? Berechnende Kunst, die Erwartungen bedienen möchte. Da kommen wir zum Anfang, weil ich will eigentlich immer, dass meine Erwartungen unterlaufen, durchkreuzt, ausgehebelt werden.

WgK: Was ist die wichtigste Lektion, die du in deinem Leben gelernt hast?

Rollig: (seufzt) Dass man unerschrocken sein muss…, man muss unerschrocken sein.

WgK: Und wie wird man glücklich im Leben?

Rollig: (lacht) Was für eine Frage! Man wird glücklich im Leben, wenn man unerschrocken ist. Und man braucht eigentlich zwei Personen, die an einen glauben: das ist man selber und eine Person, die man liebt. Dann glaube ich, wird man glücklich.

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