Interview: Margherita Spiluttini

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Margherita Spiluttini

Das ist alles nicht ohne Angst machbar. Ich bin sehr dafür, dass man die Angst überwindet und weitermacht.

Wie geht Kunst traf Margherita Spiluttini am 29. Mai 2009 in ihrer Wohnung in Wien. Das Interview führten Conny Habbel und Marlene Haderer.

WGK: Warum sind Sie Künstlerin geworden?

S: Ich habe früher eigentlich als medizinisch-technische Assistentin gearbeitet und war Mutter. Irgendwann konnte ich mir nicht mehr vorstellen, dass ich mein Leben auf diese Art verbringe. Obwohl mich das ganze medizinisch-naturwissenschaftliche Wissen immer sehr interessiert hat, fehlte mir etwas. Ich hatte aber nie die Motivation, Künstlerin zu werden – ich habe halt fotografiert. Zu diesem Zeitpunkt hat kein Mensch die Fotografie ernst genommen, erst später hat man langsam begonnen, dieses Medium als etwas wahrzunehmen, das mehr ist als nur anekdotisches Abbilden.

WGK: Was ist dieses „Mehr“?

S: Eine intensive und punktuelle Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit. Das „Mehr“ ist die Wirklichkeit. Man hat da beim Fotografieren etwas vor Augen, das im Grunde das ganze Leben umfasst.

WGK: Können Sie uns sagen, was gute Fotografie ist?

S: Ich würde diese einfache Formel verwenden: Gute Fotografie ist, wenn jemand einen authentischen Weg gefunden hat, mit dem Medium umzugehen und sich lösen kann von irgendwelchen Vorgaben. Authentizität ist ein schwammiger Begriff, aber da gehe ich so weit, zu sagen: wenn ich gute Fotografie sehe, dann spüre ich das irgendwie, ich kann aber schwer sagen, was das ist. Das betrifft natürlich nicht nur Fotografie sondern jede Kunst.

WGK: Und wie kann man beschreiben, was Kunst überhaupt ist?

S: Ich muss gestehen, ich habe nur eine zynische Antwort darauf: Es ist etwas Kunst, wenn es in einem Museum hängt, oder wenn es ausgestellt wird. Ich habe mich natürlich oft selbst gefragt: ist das was ich mache Kunst oder etwas anderes? Ein Foto von mir kann in einem Museum hängen oder es kann in einer ordinären Architekturzeitschrift abgebildet sein. Es ist immer das gleiche Foto. Wenn es im Museum hängt, bekomme ich ein paar Tausend Euro dafür und wenn es in der Zeitschrift abgebildet ist, dann bekomme ich sechzig Euro Publikationshonorar.

WGK: Und welchen Ort streben Sie an, Museum oder Architekturzeitschrift? Hängt es also nicht auch von der Intention des Produzenten ab, ob etwas Kunst ist oder nicht?

S: Die Frage stellt sich für mich so nicht mehr, weil bei meiner Arbeit beides möglich ist. Ich fotografiere einfach. Das ist eine unheimliche Erleichterung, wenn man diese Abgrenzungen zwischen angewandter Arbeit und Kunst nicht mehr braucht. Es gibt unheimlich viele verschiedene Plätze, unheimlich viele verschiedene Möglichkeiten, in denen Kunst oder etwas Ähnliches stattfinden kann. Letzten Endes ist all das aber nicht von finanziellen Gesichtspunkten zu trennen. Schließlich muss man sich sein Essen kaufen.

WGK: Wie können wir uns Ihren Arbeitsalltag vorstellen?

S: Ein Großteil meiner Produktion ist Auftragsarbeit. Das ist Knochenarbeit. Wir bekommen einen Auftrag, müssen das organisieren, reisen in der Gegend herum und fotografieren.

WGK:  Und wenn Sie ein bisschen zeitlich zurückgehen, als Sie noch nicht mit einem Team gearbeitet haben, sondern noch mehr auf eigene Faust unterwegs waren – wie war das?

S: Egal, ob ich das für mich selber gemacht habe oder ob ich es als Auftrag gemacht habe, es war immer Knochenarbeit. Und es war immer die Angst dabei, dass es schlecht wird. Heute habe ich gar keine Angst mehr. Wir fahren mit dem Rollstuhl fotografieren und wenn was daraus wird, ist es gut, und wenn nicht, ist es auch wurscht. Ich bin jetzt viel entspannter dabei. Das ist das Schöne, wenn man etabliert ist. Wenn man etwas schon einige Jahre macht und sich ein bisschen sattelfest fühlt.

WGK: Und wie war das, wenn Sie an eigenen Projekten gearbeitet haben?

S: Die Auftragsarbeit und die freie Arbeit haben sich bei mir immer gegenseitig unterstützt. Einerseits habe ich mir durch die Aufträge viel leichter getan mit dem Finanzieren meiner eigenen Arbeit, außerdem bin ich durch die Auftragsarbeiten auch viel gereist und da kommen einem ja unheimlich viele Sachen unter.

WGK: So zum Beispiel die Landschaften, die Sie fotografiert haben?

S: Die Landschaftsfotografien, die bei mir in erster Linie in den Alpen stattfinden, haben mit meiner Geschichte zu tun. Ich bin mitten in diesen wüsten Alpen aufgewachsen, das ist einfach ein Sujet, das mich nicht kaltlässt.

WGK: Wie spontan haben Sie Orte fotografiert? Sind Sie einfach herumgefahren und haben angehalten, oder war das vorher alles genau geplant?

S: Ich würde sagen neunzig Prozent waren spontan, und zu zehn Prozent bin ich extra wohin gefahren. Manche Fotos sehen so aus, als ob ich einen großen Aufwand betrieben hätte, aber das habe ich nie. Das ist viel zu anstrengend. Geplante oder inszenierte Geschichten habe ich eigentlich nie gemacht, weil ich sehr faul bin. Und ich glaube, ein wichtiger Aspekt meines ganzen Tuns ist, dass ich Sachen auf mich zukommen lasse, weil ich zu feige bin, nach Konzept zu arbeiten. Ich hätte viel zu viel Angst, dass es schiefgeht.

WGK: Sie hätten ja medizinisch-technische Assistentin bleiben können, da hat man diese Ängste vielleicht nicht.

S: Nein, aber fad wird einem. Ich bin aufgewachsen am Land, in einem bürgerlichen Haushalt. Ich bin 1947 geboren und habe die damals übliche weibliche Konditionierung als etwas sehr Prägendes empfunden. Später musste ich mich dann ganz mühsam herauswickeln, aus dieser sich völlig zurücknehmende weiblichen Position. Wenn man Kunst betreibt, muss man sich exhibitionieren, das war ein großes Problem für mich. Ich zeige etwas von mir durch die Kunst und bin nicht das artige Mädchen, als das ich erzogen wurde.

WGK: Kann man als Künstlerin auch Familie haben?

S: Das finde ich eine nette Frage. Natürlich kann man als Künstlerin Familie haben. Unter bestimmten Voraussetzungen.

WGK: Und welche wären das?

S: Ich weiß es eigentlich nicht. Während meines Heranwachsens in der Fotografie hat mich dieses Thema sehr beschäftigt. Ich bin heute sehr froh, dass ich beides erlebt habe: das Familienleben und dann ein Leben, in dem ich wirklich nur für mich und für meine Produktion da war. Es ist sehr gut, dass das hintereinander war, weil ich schwer damit zurechtgekommen wäre, beides vereinbaren zu müssen.
Häufig geschieht es aber auch, dass junge Künstlerinnen nach dem Studium sehen, wie schwer das Arbeitsleben ist und es ihnen dann als ein leichter Weg erscheint, sich von der Kunst abzuwenden und eine Familie zu gründen.
Wobei ich nicht sagen will, dass man unbedingt durchhalten muss! Es kann sein, dass man wirklich etwas anderes findet. Die Kunst ist nicht der einzige Lebensweg, und es ist nicht so, dass da eine Leidenschaft gelebt wird, die gelebt werden muss. Man kann unter Umständen auf ganz andere Wertigkeiten kommen.

WGK: Ist Kunst zwangsläufig mit einem gewissen Maß an Härte verbunden?
Muss man also als KünstlerIn leiden oder kann man auch ein angenehmes Leben führen?

S: Es ist immer die Frage, was man unter einem angenehmen Leben versteht. Ich glaube nicht, dass Leiden eine Voraussetzung ist für die Kunstproduktion, aber ich glaube, wenn man bei der Kunstproduktion gewisse Aspekte überhaupt nicht andenken willst, dann könnte es sein, dass das der Produktion schadet. Harmonie ist für mich eigentlich kein positiver Begriff. Würde ich immer in Harmonie leben, dann würde ich überhaupt nichts produzieren, sondern gut essen und gut trinken und ein bisschen herumfahren. Ich weiß aber auch ganz genau, dass mir nach drei Wochen fad würde.

WGK: Wer ist prädestiniert, am Kunstmarkt zu bestehen?

S: Unter anderem geht es darum, einen bestimmten sozialen Umgang zu beherrschen. Ich glaube, dass das eine wichtige Voraussetzung ist, Qualität hin oder her. Wenn jemand dann einmal erfolgreich ist, wird übrigens meist nicht mehr nach der Qualität geurteilt, sondern danach, dass er erfolgreich ist.

WgK: Ist Marketing also wichtiger als Qualität?

Letzten Endes gibt es so viele Möglichkeiten, Marketing zu betreiben, wo man sich dann denkt: nein danke, ich will wirklich lieber in Ruhe arbeiten. Man lernt in der Akademie schon, wie man eine Galerie bedient, oder wie man ausstellt, wie Kunstmarketing funktioniert. Das ist zwar ein wichtiger Teil der künstlerischen Arbeit und es ist naiv zu glauben, man könnte es ohne dem schaffen, aber die Gewichtung ist heute ein bisschen problematisch. Es geht zu sehr ums Marketing.

WGK: Glauben Sie, dass sich Qualität langfristig trotzdem durchsetzt?

S: Eindeutig. Ich plädiere eindeutig dafür, dass Qualität siegt, ganz eindeutig. Qualität muss nicht immer sehr erfolgreich sein, aber sie hält. Ruhm hat nicht unbedingt mit Qualität zu tun. Heute ist man schnell einmal berühmt und hat dann auf einer Internetseite zigtausend Freunde. Also, das relativiert sich, wirklich, das ist es nicht.
Ich weiß, wie einschüchternd es ist, wenn man jung ist, und plötzlich sind die ersten schon groß dabei im Kunstmarkt. Klar, das hat einen Multiplikationsfaktor und sie werden berühmt und berühmt, aber diese Leute müssen es halt auch bleiben. Man muss das fünzig Jahre durchhalten und wenn es geht bei hoher Qualität.

WGK: Wie wird man glücklich im Leben?

S: Man muss durch dünne Zeiten durchtauchen. Und das ist alles nicht ohne Angst machbar. Ich bin sehr dafür, dass man die Angst überwindet und weitermacht.

M: Und wie geht das?

S: Durchgehen, durch, durch. Ich habe ein paar Situationen erlebt, in denen ich der Angst so ausgesetzt war, ich bin ein Profi, mittlerweile. Ich war völlig verloren, als ich begonnen habe zu fotografieren. Ich habe den Kunstbereich so sehr begehrt, und mich so lange nicht hineingetraut. Ich musste viel Angst überwinden, habe aber immer gewusst: ich muss da durch. Entweder ich bringe mich um, oder ich muss durch.
Das hat so etwas Elementares. Dasselbe ist es mit der Endlichkeit des Lebens: Wenn man damit so direkt konfrontiert ist, so wie ich durch meine Krankheit (M. Spiluttini leidet seit einigen Jahren unter einer chronischen Krankheit; Anm. WgK), das sind natürlich heftige Angstüberwindungskurse: Ich kann es nicht verdrängen, ich sehe, ich kann nicht gehen und ich kann es nicht verdrängen. Da relativiert sich sehr viel, auch die Geschichte mit der Kunst und dem Kunstmarkt. Und ich glaube, dass man Gelassenheit erst dann erreicht, wenn man etliche Ängste überwunden und Situationen überstanden hat, in denen man überhaupt nicht erfolgreich war, sich aber nicht ins Bockshorn hat jagen lassen.
Ab einem gewissen Alter geht es dann einfach los und man bekommt irgendeinen Preis. Bekommt man einen Preis, bekommt man dauernd Preise. Da laufen diese einfachen Mechanismen. Es ist so schwierig, weil es so selbstverständlich ist, dass man lange herumsucht… aber das weiß ich auch erst jetzt.

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