Interview: Thomas Ruff

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Thomas Ruff

Was braucht man, um gute Kunst zu machen? Ehrlichkeit.


Wie geht Kunst traf Thomas Ruff am 19. Mai 2009 in den Räumlichkeiten der Kunsthalle Wien. Das Interview führten Conny Habbel und Marlene Haderer.

WgK: Warum sind Sie Künstler geworden?

Ruff: Ich hatte nicht vor, Künstler zu werden, das hat sich ergeben. Ich hatte mit Kunst nichts am Hut. Die letzten drei Jahre auf dem Gymnasium hatte ich keinen Kunstunterricht mehr, weil es keinen Lehrer dafür gab. Das war in Süddeutschland in einem kleinen Kaff und ich war Hobbyfotograf. Als ich dann Abitur gemacht habe, wollte ich Astronomie studieren, oder Fotografie. Für Astronomie war ich damals zu faul, und ich hab mich für die ‚leichtere’ Variante entschieden. Aber  meine Vorstellung war eigentlich „Geo“-Fotograf zu werden – oder so ähnlich. Ich wollte um die Welt reisen, schöne Fotos machen von schönen Landschaften, schönen Menschen. So hatte ich mir das damals vorgestellt. (lacht)

WgK: Und wann war es für Sie klar, dass Sie Künstler werden?

Ruff: Zuerst wollte ich eben dieser Reisefotograf werden und habe überlegt, wo man Fotografie studieren könnte, wo man sowas lernen könnte. Als vom Lande Kommender dachte ich mir: wahrscheinlich auf einer Kunstakademie, wo auch die schönen Bilder gemalt werden. Es hat sich herausgestellt, dass die Kunstakademie in Düsseldorf 1977 die einzige Akademie in ganz Deutschland war, die eine Fotoklasse hatte wie Malereiklassen oder Bildhauerklassen. Da hab ich dann meine zwanzig schönsten Kleinbilddias hingeschickt und komischerweise hat mich der Becher1 dann genommen.

WgK: Und gab es irgendwann einen Punkt, an dem Sie gemerkt haben, jetzt switcht das Ganze, jetzt verändert sich Ihr Interesse vom reinen Foto zum Künstlerischen, zum Konzept?

Ruff: Ja, natürlich. Im Studium war ich zum ersten Mal mit Künstlern zusammen. Die konnten alle fantastisch zeichnen oder schnitzen und ich konnte nur meine blöden Fotos machen. Zudem war ich aus meiner gewohnten Foto-Umgebung gerissen und konnte nichts finden, was ich hätte fotografieren können und dann musste ich eben auch erkennen, dass das, was ich bisher gut fand, eigentlich ziemlich mickrig, kitschig und klischeehaft war. Becher meinte mal zu mir: „Thomas, deine Fotos sind zwar schön, aber es sind Klischees. Das sind nicht deine eigenen Bilder, sondern es sind Imitationen von Bildern, die du irgendwo gesehen hast.“ Und die hatte ich damals natürlich in diesen Fotomagazinen gesehen. Landschaften mit Sonnenuntergang und solche Sachen.
Dann hatte ich natürlich eine dicke Krise und konnte ein Jahr lang nichts arbeiten. Ich wusste wirklich nicht, wie ich da wieder herauskommen sollte und habe in meiner Wohnung ein paar Ecken fotografiert und da ist dann das erste Interieur entstanden. Eine Aufnahme von einem Waschbecken mit einer siebziger Jahre Tapete und Ablage drüber.

WgK: Können Sie beschreiben, was gute Kunst für Sie ist?

Ruff: Gute Kunst erkennt man einfach. Wenn man vor einem guten Bild oder einer guten Skulptur steht, merkt man das einfach. Man erkennt: boah, dass ist echt gut! Ich kann nicht benennen, was es wirklich gut macht. Man merkt… fühlt, merkt… und ja, man freut sich dann einfach.

Wgk: Vielleicht soll man nicht nur fragen: was ist gute Kunst? sondern: was ist Kunst? Was macht man, wenn man Kunst macht?

Ruff: Ich würde sagen, Kunst ist eine intelligente Auseinandersetzung mit unserer Umgebung.
Das kann die nähere Umgebung sein, das können Sie beiden sein, das kann eine Straßenbahn sein oder Weltpolitik. Das kann alles sein. Nur dumm sollte diese Auseinandersetzung nicht sein.

WgK: Muss man also klug sein, um gute Kunst zu machen?

Ruff: Da ist natürlich die Frage, wie man Klugheit definiert. Ich kenne Leute, die tapsen durch die Gegend, und ich finde sie super, wie sie mit ihrer Tapsigkeit durch die Welt kommen. Die haben dann halt eine andere Art von Intelligenz. Klugheit braucht man nicht. Ich würde eher sagen, man braucht eine Art Ehrlichkeit, eine Authentizität, die einen befähigt, Dinge unabhängig von Klischees, von vorgegebenen Meinungen zu betrachten.

WgK: Gibt es ein Kunstwerk in Ihrem Leben, das Sie besonders beeindruckt hat?

Ruff: Davon gibt es sehr viele. Es gibt auch viele Kunstwerke, die sind ganz wichtig in einem bestimmten Lebensalter, die werden dann plötzlich unwichtig. Das ist wie in der Literatur. Es gibt Bücher, die liest man mit zwanzig: Hermann Hesse oder Arthur Schnitzler. Das sind fantastische Bücher aber mit fünfzig muss man sie nicht mehr lesen. Genauso gibt es auch Kunstwerke, die mir unheimlich wichtig waren zu einem bestimmten Zeitpunkt. Die sind natürlich immer noch sehr gut, wenn man sie aus der Entfernung, aus einer zeitlichen Distanz betrachtet.
Aber wir sind nur Menschen, wir können nur reagieren, und zwar aus dem Zustand heraus, in dem wir uns gerade befinden.

WgK: Sie haben vorhin gesagt, gute Kunst erkennt man und da entsteht so etwas wie Freude. Wie ist es beim Kunstmachen? Macht Kunstmachen glücklich?

Ruff: Ja (lacht), Kunst machen ist die schönste Arbeit auf der Welt, sie ist nicht entfremdet, sondern selbstbestimmt. Ich entscheide was ich mache, wie ich es mache, wann ich es mache. Also das Ideal, das der Herr Marx damals postuliert hat. Natürlich hat man Krisen oder schafft es manchmal nicht oder hat Schwierigkeiten. Manchmal kann man aber die Probleme lösen und kommt weiter.

WgK: Sind Sie manchmal unsicher in Ihrer Kunst?

Ruff: Als junger Künstler war ich nie unsicher, sondern habe einfach gefühlt: so stimmts. Ich wusste immer, welche Arbeit gelungen, welche gut und welche sogar sehr, sehr gut geworden war. Das ist zwar heute noch genauso, aber mit meinen dreißig Jahren Berufserfahrung und der Erfahrung der unterschiedlichsten Reaktionen auf meine Serien denke ich sofort auch über die Rezeption nach: wie wird das Ding eventuell angesehen? Ich weiß dann zwar: das ist jetzt genau das, womit ich mich intensiv beschäftigt habe und ich bin hundertprozentig sicher, dass es das richtige Bild ist – trotzdem bin ich manchmal beim ersten Zeigen verunsichert.

WgK: Sie haben gesagt, Sie waren sich als junger Künstler sehr sicher mit ihrer Arbeit. Glauben Sie, dass sich die Unsicherheiten von jungen KünstlerInnen heute verstärkt haben?

Ruff: Als ich studiert habe, war eigentlich klar, dass ich während des Studiums erstmal gar keine Ausstellung mache, sondern dass das Studium tatsächlich als Studium gedacht ist. Und dann, wenn ich die Akademie beendet habe, habe ich vielleicht eine Richtung gefunden, in der ich arbeiten werde. Dann muss ich noch ein paar Jahre als erfolgloser junger Künstler an meiner künstlerischen Arbeit feilen, und dann vielleicht, ein paar Jahre später, wird es eine Ausstellung geben.
Das hat sich inzwischen grundlegend geändert. Ich hatte Studenten in meiner Klasse, die dachten, wenn sie im zweiten Semester keine Ausstellung haben, haben sie schon versagt. Das heißt, sie haben sich gar nicht die Zeit genommen, erstmal zu schauen: was kann ich machen? was steckt in mir? oder sich etwas zu suchen, mit dem sie sich wirklich intensiv beschäftigen können. Nicht die Arbeit, sondern die Ausstellung war das Wichtige, und weil sie immer an eine Ausstellung gedacht haben, hatten sie keine Zeit, die eigentliche Arbeit zu machen. Das ist ein absurdes Verkehren von Abläufen. Das muss in die Hose gehen.

WgK: Wie kommen Sie zurecht mit den Umgangsformen im Kunstbetrieb, war für Sie der Umgang mit Presse, Galeristen und Kuratoren immer problemlos?

Ruff: Ich hatte ziemlich Glück und habe mich nie um eine Ausstellung kümmern müssen. Ich hatte nie eine Mappe, mit der ich mich an eine Galerie gewendet habe und gefragt habe: Wäre das interessant für Sie auszustellen? Die einzigen Bewerbungen, die ich gemacht habe, waren für Stipendien oder Ähnliches. Aber ich wurde relativ früh von einer Galerie in München angesprochen, ob ich nicht eine Ausstellung machen will. Dann hat es eine andere Galerie gesehen, die wollten dann auch eine Ausstellung mit mir machen und so ging es halt weiter. So habe ich meine Galerien gefunden. Die sind auf mich zugekommen, nicht ich auf die, was natürlich ideal ist für einen Künstler. Insofern hatte ich zum Ausstellen immer ein lockeres, kein beengtes Verhältnis. Natürlich gibt’s dann noch die Presse. Und manchmal schreibt sie Scheiße… ja: Manchmal schreibt sie Scheiße.

WgK: Es gibt ja auch sehr viel elitäres Verhalten im Kunstbetrieb, oder?

Ruff: Natürlich, VIP´s werden die Türen aufgehalten, jungen Künstlern werden sie vor der Nase zugeknallt. Wenn ich in ein Museum gehe, und da steht der Museumsdirektor, dann kann ich auf den zugehen und sagen: „Guten Tag, mein Name ist Thomas Ruff“, dann sagt er: „Oooh! Erfreut!“, und wenn das ein unbekannter Künstler oder Student macht, dann sagt er: „Wat, wat, wat is? Was wollnse?“

WgK: Diese unangenehme Phase haben Sie sozusagen übersprungen.

Ruff: Ich habe da auch nie mitgemacht.

WgK: Aber wie macht man da nicht mit? Das würde mich interessieren.

Ruff: Da bin ich tatsächlich so naiv und glaube immer noch, dass wenn die Arbeit gut ist, sich der Rest automatisch ergibt. Aber natürlich gibt es auch ehrgeizige Künstler, richtige Kunstbetriebsprofis, die durch häufige Präsenz und entsprechendes Schleimen vorwärts zu kommen versuchen. Sie sind in der Szene, gucken sich alle Ausstellungen an, gehen auf alle Parties. Mir ist das aber zuviel, ich bin lieber zuhause am Arbeiten.

WgK: Gibt es Kunst, die Sie scheiße finden?

Ruff: Ja, natürlich. Dumme Kunst… (lacht) ist ziemlich scheiße. Oder spekulative Kunst.

WgK: Was heißt „spekulative Kunst“? Berechnend?

Ruff: Spekulative Kunst ist entweder das Imitieren von berühmten Kunstwerken des Umsatzes wegen oder das Spekulieren auf den Eklat oder die Pressereaktion, in der Regel handelt es sich bei beidem um Aktionen, die mit Kunst eigentlich nichts zu tun haben. Sagen wir: Damien Hirst.

WgK: Zu etwas ganz anderem: Finden Sie, dass Künstler sein und Familie haben vereinbar ist? Oder ist es schwieriger als in anderen Berufen?

Ruff: Natürlich können Künstler Familie haben. Ich wollte gerade sagen – aber da würden Sie mir widersprechen – auch der Künstler hat ein Privatleben. Ein Künstler verbringt nicht hundert Prozent seiner Zeit mit der Kunstproduktion, sondern trinkt auch gern mal einen Wein und unterhält sich mit Freunden, oder spielt mit seinen Kindern. Das geht alles.

WgK: Naja, man verbringt vielleicht nicht hundert Prozent seiner Zeit mit dem Fotografieren oder mit dem Ausbelichten oder mit dem Malen, aber ist es nicht so, dass Arbeit und freie Zeit wahnsinnig schwer zu unterscheiden sind, wenn man KünstlerIn ist? In Zeiten, in denen ich intensiv arbeite, ist die Beschäftigung mit der Arbeit schon dauernd da, dann ist sie auch da, wenn ich abends einen Wein trinke, weil meine ganze Wahrnehmung darauf konzentriert ist.

Ruff: Okay, aber währenddessen können Sie noch essen und trinken, ja?

WgK: Das stimmt. Aber eine Familie haben fesselt doch sicher auch einen großen Teil von dieser inneren Aufmerksamkeit.

Ruff: Ich habe ein Atelier, das war als Atelier mit Wohnung gedacht, und jetzt sind zwei Töchter da und wenn ich konzentriert über mehrere Stunden arbeiten will, kann ich erst abends anfangen, wenn die Kinder im Bett sind. Deshalb habe ich jetzt eine Halle in einem Industriegebiet gemietet, in der ich absolute Ruhe habe. Aber wenn ich nachhause komme heißts: „Papa, Kringelbilder malen, so Dinge wie du machst!“ Dann bin ich natürlich mit den Kindern. Aber es gibt ja auch Phasen, wo es einfach fluppt, wo ich arbeiten kann, egal wie viel Krach um mich herum ist. Und dann gibt es wieder Phasen, wo ich ein halbes Jahr nichts mache.

WgK: Kennen Sie auch Frauen, die Künstlerinnen sind und Familie haben und ihre Kunst nicht hinten anstellen?

Ruff: Ja klar, ich weiß nicht, ob Sie sie kennen: Paloma Varga Weisz, Bildhauerin aus Düsseldorf. Karin Kneffel, Malerin, hat eine Tochter, Vanessa Beecroft hat ein Kind… Es gibt sehr viele Künstlerinnen mit Familie oder mit Kindern.

WgK: Mit mehr als einem Kind?

Ruff: Müsste ich recherchieren!

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